23. August 2023 / Am 3. August 2023 hat das sogenannte „Grüne Netzwerk evidenzbasierter Politik“ einen Kommentar zu einem von Testbiotech veröffentlichten Dokument veröffentlicht. Im Dokument von Testbiotech sind einige Unterschiede zwischen Neuer Gentechnik und konventioneller Züchtung (bzw. ungezielter Mutagenese) tabellarisch zusammengefasst. Die enthaltene Tabelle hatte Testbiotech bereits 2018 veröffentlicht und jetzt aktualisiert. Anders als sonst bei Testbiotech üblich, gibt es in diesem Dokument keine ausführliche Referenzliste, sondern nur einen Verweis auf verschiedene Beispiele von Pflanzen aus Neuer Gentechnik, die diese Unterschiede zwischen Züchtung und Gentechnik deutlich machen. Der Grund: Es handelt sich um eine öffentliche Kommunikation (‚Basistext‘), die möglichst leicht verständlich sein soll.
Die wissenschaftliche Grundlage dieses Dokuments und der enthaltenen Tabelle ist solide. In den letzten Jahren sind in Fachzeitschriften diverse wissenschaftliche Publikationen erschienen, die die Aussagen der Tabelle belegen. Testbiotech hat diese u.a. in einem Gutachten für den Verbraucherzentrale Bundesverband ausgewertet, zudem sind in Zusammenhang mit Projekten von Testbiotech auch eigene wissenschaftliche Publikationen speziell zum Thema Neue Gentechnik entstanden.
Aus gesellschaftlicher wie auch wissenschaftlicher Perspektive ist es sehr wichtig, dass eine informierte Diskussion über die Neue Gentechnik – und damit einhergehend auch über die Unterschiede zur konventionellen Züchtung –geführt wird. Doch der Text, der von Kaufmann et al veröffentlicht wurde, wird diesem Anspruch nicht gerecht. Über die Hintergründe und Motivation der als Hauptautorin genannten Frau Dr. Kaufmann, diese „Replik“ zu verfassen, werden wir nicht spekulieren. Sehr fragwürdig erscheint uns aber die Auswahl der Co-Autoren: Einer ist Mitgründer der Biotech-PR-Agentur Akampion, ein anderer emeritierter Professor und Geschäftsführer eines Kommunikationsunternehmens. Einige dieser AutorInnen, die jetzt für sich ‚Evidenz‘ beanspruchen, fallen bereits seit Jahren durch Kommentare in den sozialen Medien auf, die man auf bayerisch auch als ‚Wadelbeisserei‘ bezeichnen könnte. Tatsächlich hat der Inhalt des Dokuments des ‚grünen Netzwerks‘ große Ähnlichkeit zu Texten, mit denen Testbiotech schon seit Jahren in den sozialen Medien behelligt wird. Keine Überraschung, dass auch die „Replik“ zu polarisieren versucht und zum größten Teil unsachlich und in sich widersprüchlich ist. Während Testbiotech von WissenschaftlerInnen immer wieder direkte Kommentare erhält und diese auch gerne in der eigenen Arbeit berücksichtigt, scheint den selbsternannten VertreterInnen einer ‚Grünen Evidenz‘ diese Art von Kommunikation fremd.
In der Debatte um die Regulierung der Neuen Gentechnik lassen interessierte Akteure gegenwärtig kaum etwas unversucht, um den Eindruck zu vermitteln, dass die Lage sehr klar sei: Es wird versucht, den komplexen Diskurs auf zwei Positionen zu reduzieren. Da gebe es auf der einen Seite die Ewig-Gestrigen, die aus dogmatischen Gründen neue Technologien ablehnten und aus Prinzip ‚dagegen‘ seien. Aus guten Gründen für eine wirkungsvolle Regulierung derart mächtiger Werkzeuge zu sein, kann aber nicht damit gleichgesetzt werden, dogmatisch „gegen die Technologie“ zu sein. Auf der anderen Seite gebe es „die Evidenzbasierten“, die „technologieoffen“ und „progressiv“ seien. Um Ihr Ziel – die Deregulierung der Neuen Gentechnik – zu erreichen, wird mit allen Mitteln versucht, die Unterschiede zwischen Neuer Gentechnik und konventioneller Züchtung zu leugnen. Es gebe nur einen Unterschied: Mehr „Präzision“. Um das zu belegen, beanspruchen sie „die Wissenschaft“ für sich. Außerdem soll der Eindruck vermittelt werden, dass alle vernünftig Denkenden verstünden, dass die Deregulierung der Neuen Gentechnik in der Landwirtschaft nur zum Wohle aller sei. In den vergangenen Jahren sind diverse Initiativen mit zivilgesellschaftlichem Anstrich entstanden, die für sich hehre Ziele proklamieren. Bei genauerem Hinsehen drängt sich aber der Verdacht des ‚Astroturfing‘ auf. Der Begriff geht auf das englische Wort für Kunstrasen zurück und wurde in den USA eingeführt, um eine unlautere PR-Methode zu beschreiben: Das Vortäuschen von echten zivilgesellschaftlichen Graswurzelbewegungen. Tatsächlich handelt es sich beim ‚Astroturfing‘ aber nicht um zivilgesellschaftliches Engagement für mehr Gemeinwohl, sondern um die (bezahlte) Durchsetzung profitorientierter Interessen von Akteuren, die diskret im Hintergrund bleiben wollen.
Interessierten LeserInnen dürfte es jedenfalls leicht fallen zu erkennen, dass der veröffentlichte Text kein Beitrag zu einer sachlichen Diskussion ist und wohl aus unsachlichen Motiven verfasst wurde. Auch hier scheint der Begriff der ‚Wadelbeisserei‘ nicht unangebracht. Die Kommunikationsmittel die hier eingesetzt werden, sind jedenfalls schlicht: Auf die eigentlichen Argumente wird nicht wirklich eingegangen, stattdessen werden sie aus dem Zusammenhang gelöst, absichtlich missverstanden und verdreht. Das Ziel: Die ‚Gegenseite‘ zu diskreditieren. Im Ergebnis wird so Verwirrung gestiftet, um eine informierte Diskussion zu verhindern.
Hier ein kurzer Exkurs durch die Niederungen dieser Art von ‚Evidenz‘:
• Wie zahlreiche Beispiele belegen, können mit der Gen-Schere CRISPR/Cas bei Pflanzen Eigenschaften erzielt werden, die über das hinausgehen, was aus der konventionellen Zucht bekannt ist. Die KritikerInnen von Testbiotech bestreiten dies ohne jede erkennbare Grundlage.
• Fast alle Pflanzen aus neuer Gentechnik, die in den nächsten Jahren zur Vermarktung anstehen könnten, wurden zunächst mit ‚Alter Gentechnik‘ bearbeitet, um die Gen-Schere in die Zellen einzuschleusen. Diese Verfahren führen zu vielen unbeabsichtigten genetischen Veränderungen. Die AutorInnen bestreiten dies heftig und behaupten, dass die Gen-Schere in der Regel mithilfe anderer Verfahren in die Zellen eingeschleust würde. Tatsächlich gibt es diese anderen Verfahren, sie werden aber aus technischen Gründen bisher kaum eingesetzt.
• Wiederholt wird das Standardargument, dass die Anzahl der genetischen Veränderungen bei der Neuen Gentechnik niedriger sei, als bei der ungerichteten Mutagenese. Dabei wird ignoriert, dass es nicht so sehr darauf ankommt wie viele Mutationen auftreten, sondern welche Gene verändert werden, welches Muster der Genveränderung entsteht (Genotyp) und welche biologischen Wirkungen (Phänotyp) damit verbunden sind. Dass es hier Unterschiede zwischen Neuer Gentechnik und Züchtung gibt, kann aus wissenschaftlicher Sicht nicht ernsthaft bestritten werden.
• Die AutorInnen zeichnen von der Zufallsmutagenese ein verzerrtes Bild: So ist es nicht richtig, dass beim Einsatz physikalisch-chemischer Mutagene bis zu 90 Prozent der Pflanzen abgetötet werden. Es gibt inzwischen rund 100 Jahre Erfahrung mit dem Einsatz dieser Mutagene, sie werden in der Praxis so dosiert, dass zwar die Anzahl der Mutationen erhöht ist, die Lebensfähigkeit der Pflanzen (Zellen) aber möglichst erhalten bleibt. Eingesetzt werden dabei vor allem chemische Substanzen. Radioaktive Strahlung ist eher eine Ausnahme. Chemische und physikalische Reize (wie Sonnenlicht) wirken auch natürlicherweise Weise auf Pflanzen ein. Zufallsmutagenese beschleunigt das Auftreten von genetischen Veränderungen, die auch ansonsten zu erwarten sind. Biotechnologische Mutagene wie die Gen-Schere CRISPR/Cas sind gerade deswegen für die Züchtung interessant, weil sie auch zu Ergebnissen führen können, die sonst wenig wahrscheinlich sind. Doch diese technischen Vorteile gehen auch mit Risiken einher. Auch das kann wissenschaftlich nicht bestritten werden.
• Es wird der Eindruck erweckt, als ob über 30 Jahre Risikoforschung an gentechnisch veränderten Pflanzen betrieben worden wäre, aber keine Gefahren festgestellt wurden. Verschwiegen wird, dass sehr wohl Schäden in der Umwelt dokumentiert sind und dass es weltweit zu gentechnisch veränderten Pflanzen nur wenig Sicherheitsforschung gibt, die unabhängig von den Akteuren durchgeführt wird, die auch kommerzielle Interessen an der Vermarktung dieser Pflanzen haben. Die Neue Gentechnik bzw. die Gen-Schere Crispr/Cas – das sollte auch den AutorInnen der „Replik“ wohlbekannt sein – gibt es jedoch erst seit rund 10 Jahren.
• Interessant ist der wiederholte Versuch, Testbiotech bestimmte Aussagen zuzuschreiben, die so nicht gemacht wurden. Testbiotech hat bspw. nie behauptet, dass es „Bereiche im Genom [...] gibt [...], die vollständig vor Mutationen geschützt sind“. Wissenschaftlich evident ist aber, dass es Bereiche im Erbgut gibt, die besonders geschützt sind. Die AutorInnen bestätigen das selbst, wenn sie schreiben: „Es ist richtig, dass verschiedene Bereiche im Genom mit verschiedener Häufigkeit mutieren“. Direkt im Anschluss heißt es aber dann: „Es gibt keine ‚geschützten Bereiche im Genom‘“. Diese Argumentation ist logisch betrachtet gleichzusetzen mit der Aussage, es gebe keinen Schutz durch Anschnallgurte im Auto, denn es gibt trotz Anschnallgurten tödliche Unfälle.
Testbiotech wird diesen Text zu den Unterschieden zwischen Züchtung und Neuer Gentechnik auch in Zukunft aktualisieren. So erschien jüngst eine englische Version, bei deren Erstellung auch der deutsche Text noch einmal überarbeitet wurde.
Wir freuen uns immer über sachdienliche Kommentare und werden diese gerne bei weiteren Neuauflagen des Textes berücksichtigen.