17.4.2019 / Über die Sicherheit von neuen gentechnischen Methoden wie CRISPR/Cas wird in Wissenschaft, Politik und Medien seit einigen Jahren kontrovers diskutiert. Testbiotech verfolgt die Debatte hinsichtlich des Genome Editing (z.B. CRISPR/Cas) unter der Perspektive des Vorsorgeprinzips. Dieser Ansatz wurde im Sommer 2018 durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestärkt, laut dem die Verfahren des Genome Editing als gentechnische Verfahren einzustufen sind und einer Regulierung durch die EU-Gentechnikgesetzgebung unterliegen.
Etliche VertreterInnen von Industrie und Forschung, aber auch einige PolitikerInnen laufen seitdem öffentlich Sturm gegen die Einschätzung des EuGH und fordern eine Deregulierung des Genome Editing. Gerade in relevanten überregionalen Medien wie Spiegel, Spiegel Online, Tagesspiegel, Die Zeit oder Süddeutscher Zeitung kommen dabei immer wieder prominente und meinungsstarke ForscherInnen zu Wort, die in der öffentlichen Wahrnehmung die Haltung „DER Wissenschaft“ zu Themen wie CRISPR/Cas bestimmen.
Aufgebaut wird hierbei eine bedauerlich polarisierende und unsachliche Debatte: Auf der einen Seite steht dabei in vielen Medien unangefochten „DIE Wissenschaft“, die, mit wissenschaftlicher Autorität versehen, sich für eine Einführung und Freisetzung der neuen Gentechnik-Organismen ohne Risikoprüfung und Kennzeichnung einsetzt. Auf der anderen Seite stehen unter anderem zivilgesellschaftliche Organisationen und kritische WissenschaftlerInnen − unisono als "unwissenschaftlich" diskreditiert. UmweltschützerInnen und GentechnikkritikerInnen werden in dieser Debatte zudem of als "interessengeleitet" dargestellt, insbesondere der Kampfbegriff „Ökolobby“ wird wiederholt verwendet. Damit soll offenbar öffentliche Kritik an den neuen Gentechnikverfahren verhindert werden.
Verfestigt wird dieser mediale Mainstream durch das von Konzernen wie BASF und Bayer mitfinanzierte Science Media Center (SMC), eine Organisation, die JournalistInnen bei der Berichterstattung über wissenschaftliche Themen unterstützen will. Wissenschaftliche ExpertInnen im Sinne des Science Media Centers sind laut einem Bericht des „Tagesspiegel“ dadurch gekennzeichnet, dass sie als ‚ehrliche Makler’ auftreten. Doch wie ehrlich und frei von Interessen sind die medial auffälligen FürsprecherInnen des Genome Editing wirklich?
Zum Beispiel Detlef Weigel ….
Prof. Detlef Weigel ist ein hochdekorierter Pflanzenforscher und Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Für die Presse ist er regelmäßiger Ansprechpartner zu Fragen des Genome Editing und macht sich öffentlich dafür stark, dass genomeditierte Pflanzen nicht unter das Gentechnikgesetz fallen („Genom-editierte Pflanzen, die keine DNA von unverwandten Organismen enthalten, dürfen nicht unter das Gentechnikgesetz fallen“). Im Sommer 2018 zeigte er sich unter anderem „schockiert“ über das Urteil des EuGH.
Detlef Weigel kommentiert die Arbeit von Testbiotech im sozialen Netzwerk Twitter seit geraumer Zeit in einer Art und Weise, die für einen führenden Wissenschaftler seines Forschungsgebietes und Repräsentanten der ehrwürdigen Max-Planck-Gesellschaft zumindest bemerkenswert ist. In den vergangenen Monaten war z.B. von „typical mystical, unscientific nonsense“ des „Lobbyisten“ und „Ludditen“ Christoph Then die Rede, der „seinen Lebensunterhalt zu 100% mit Propaganda“ verdiene und „Verleumdung von Wissenschaftlern“ betreibe. Für sich selbst nimmt Detlef Weigel dabei in Anspruch: „In der Sache bin ich Experte.“ Und als solcher vertritt er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse mit Nachdruck, so etwa in der Gärtnerzeitung TASPO im August 2018: „Ich kann mit voller Überzeugung sagen: Pflanzen, die gezielt genetisch verändert worden sind, haben ein noch geringeres Gefahrenpotential als konventionell gezüchtete Sorten. Sie sind besonders sicher.” Damit stellt Weigel Behauptungen auf, die weit über das hinausgehen, was wissenschaftlich abgesichert ist. Wie kommt es, dass Weigel so offensiv die Grenzen dessen überschreitet, was er als Experte wirklich wissen kann?
Anlässlich eines Themenschwerpunktes zu Genome Editing bei Pflanzen veröffentlichte das Science Media Center (SMC) Statements zahlreicher ForscherInnen zur Sicherheit des CRISPR-Verfahrens. Dabei fragte das SMC auch nach Interessenkonflikten der WissenschaftlerInnen. Während verschiedene ForscherInnen ihre Interessen (z.B. Patente) offenlegten, machte Detlef Weigel keine Angaben zu möglichen Interessenkonflikten. Dabei hat er durchaus handfeste Interessen, zum Beispiel in Form von Patenten auf gentechnisch veränderte Pflanzen, an denen er als Erfinder oder Antragsteller beteiligt ist. Oder als Mitgründer und Gesellschafter des Bioinformatik-Unternehmens Computomics, das als Dienstleister für Saat- und Tierzuchtunternehmen tätig ist. Nach eigenen Angaben berät Weigel auch Konzerne wie Bayer.
Zum Beispiel Ralf Reski ….
Ein weiterer, medial sehr aktiver Verfechter einer Deregulierung des Genome Editing bei Pflanzen ist Prof. Ralf Reski, der den Arbeitsbereich für Pflanzenbiotechnologie an der Fakultät für Biologie der Universität Freiburg leitet und sich unter anderem als Mitglied des Expertendienstes der Universität Freiburg regelmäßig mit starken Worten zu Themen wie CRISPR/Cas äußert. So ist er der Ansicht, dass ein Verzicht auf Genome Editing-Verfahren bei Pflanzen „verantwortungslos“ sei und die Diskussion über die Technologie eine „Luxusdiskussion“.
Gleichzeitig macht er aus seinem Herzen im sozialen Netzwerk Twitter keine Mördergrube und diffamiert Organisationen wie Testbiotech auf wenig professorale, dafür durchaus flegelhafte Art und Weise mit Verbalinjurien wie „Verdummung first. Fakten second. Testbiotech, Hort alimentierter Ideologen“.
Mit seiner „unabhängigen“ wissenschaftlichen Expertise ist Ralf Reski gleichwohl ein relevanter Ansprechpartner für die Presse. Nicht thematisiert wird dabei allerdings, dass Reski an zahlreichen Patenten auf Gentechnik-Pflanzen beteiligt ist, unter anderem gemeinsam mit dem BASF-Konzern. Ebenfalls kein Thema: Nach eigenen Angaben erhält Prof. Reski fast die Hälfte seiner Forschungsmittel von der Industrie.
Zum Beispiel Karl-Heinz Kogel ...
Ein ebenfalls gern zitierter Ansprechpartner für die Presse ist Prof. Karl-Heinz Kogel, Leiter des Instituts für Phytopathologie an der Universität Gießen. Er hält es zum Beispiel aus „wissenschaftlicher Sicht“ für eindeutig richtig, dass durch Genome Editing hergestellte Pflanzen nicht als gentechnisch verändert gelten und keine entsprechende Risikobewertung durchlaufen müssen. Auch schwärmt er von der ungeheuren Innovationskraft, die eine solche Deregulierung für die Pflanzenzüchtung bedeuten würde. Was in den Medien weniger stark beleuchtet wird: Kogel ist an einer Vielzahl von Patenten auf Gentechnik-Pflanzen bzw. von Methoden der gentechnischen Veränderung von Pflanzen beteiligt, unter anderem gemeinsam mit dem BASF-Konzern.
Zum Beispiel Holger Puchta...
Prof. Holger Puchta ist Geschäftsführender Direktor des Botanischen Instituts am Karlsruhe Institute of Technology (KIT) und in Deutschland einer der Pioniere des Genome Editing bei Pflanzen. Auch er ist in den Medien sehr präsent. Puchta zeigte sich unter anderem „enttäuscht“ über das Urteil des EuGH und bezeichnet die neuen Gentechnikverfahren als „billig, innovativ und gut für kleine Saatgutfirmen und junge Start-ups“.
Auch in dem bereits erwähnten Themenschwerpunkt des Science Media Center (SMC) zum Thema „Neue Definition für Grüne Gentechnik wegen CRISPR-Cas, TALEN und Co.?“ kommt Holger Puchta zu Wort und bezeichnet es als „in höchstem Maße irrational“, dass mit der CRISPR-Technologie erzeugte Pflanzen als gentechnisch verändert gelten sollen. Als einer der wenigen vom SMC befragten Experten macht er auch Angaben zu möglichen Interessenkonflikten: „Ich bin Staatsbeamter und besitze keine kommerziellen Interessen an Firmen der Züchtungs- oder Biotechnologiefirmen ebenso wenig wie am Biolandbau.“
„Keine Interessen“ erscheint hier jedoch als dehnbare Definition: Eine Recherche in der Patentdatenbank des Europäischen Patentamts (EPA) zeigt, dass auch Holger Puchta an Patenten auf Gentechnik-Pflanzen bzw. Methoden zu deren Herstellung beteiligt ist. Das letzte dieser Patente wurde 2018 publiziert, Anmelder ist wiederum der BASF-Konzern.
Vertrauen in „die Wissenschaft“?
Die genannten wissenschaftlichen Experten stehen hier nur als Beispiele. Schon früher hat Testbiotech auf vielfach in der Presse zitierte ForscherInnen aufmerksam gemacht, die beim Thema Genome Editing als VertreterInnen der „reinen Wissenschaft“ auftreten, bei genauerem Hinsehen aber erheblichen Interessenkonflikten unterliegen. Hier sei auf den Potsdamer Molekularbiologen und Wissenschaftsfunktionär Prof. Bernd Müller-Röber hingewiesen, der dem Biologenverband VBIO vorsteht. Auch er ist an einer Reihe von Gentechnik-Patenten beteiligt, unter anderem gemeinsam mit Bayer.
Derartige Verquickungen von Rollen und Interessen, die in der Regel nicht transparent gemacht werden, sind geeignet, das Vertrauen in „die Wissenschaft“ erheblich zu beschädigen. Ebenso wie WissenschaftlerInnen, die auf Twitter mit verbalem Mobbing auf unterstem Niveau Stimmung gegen kritische wissenschaftliche Ansätze machen und damit einen offenen gesellschaftlichen Diskurs sabotieren.
Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, die Rolle von Wissenschaft und WissenschaftlerInnen kritisch zu hinterfragen. Gerade im Fall der neuen Gentechnikverfahren dominiert auch in den großen überregionalen Medien ein altbackenes und idealisiertes Bild wissenschaftlicher Autorität, das direkt aus den 1950er-Jahren stammen könnte. Es ist vielleicht symptomatisch, dass in der aktuellen medialen Landschaft, in der viel Vorgefertigtes übernommen, aber wenig investigativ recherchiert wird, die Sicht der EntwicklerInnen und AnwenderInnen kaum kritisch hinterfragt wird, wenn diese im Namen anerkannter wissenschaftlicher Institutionen verkündet wird. Die Folgen von Jahrzehnten der Unterwerfung der Wissenschaft unter das Primat der Ökonomie (Stichwort Drittmittelforschung) haben im Forschungsbetrieb tiefe Spuren hinterlassen. Unabhängige und interessenfreie Wissenschaft, das zeigt die Diskussion über die neuen Gentechnikverfahren, bleibt dabei oft auf der Strecke.
Wir alle sind aber auf unabhängige Wissenschaft angewiesen. Nur wenn es in der Wissenschaft ausreichend Transparenz und Selbstreflexion gibt, kann sie in der gesellschaftlichen Debatte als eine Art „ehrlicher Makler“ auftreten. Testbiotech fühlt sich jedenfalls diesem Ziel verpflichtet.