22. September 2023 / Am 13. September 2023 erschien im Tagesspiegel ein Interview mit dem Vorsitzenden der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) unter dem Titel: „Zoff um Gentech-Kommission: ‚Die verzögerte Besetzung hat große Sorge ausgelöst‘." Gleich zu Beginn des Beitrags heißt es: „Wie sicher ist ein Gentechnik-Experiment? Seit 1978 befinden darüber unabhängige Experten. Doch kurz vorm Jubiläum versuchten Grün geführte Ministerien Anti-Gentechnik-Aktivisten in die Kommission zu hieven.“ Das Interview geführt hat der Journalist Sascha Karberg.
Thomas Vahlenkamp ist Virologe an der Universität Leipzig und leitet die ZKBS, die aus 20 ExpertInnen aus Bereichen wie Mikrobiologie, Genetik, Pflanzenzucht, Ökologie und Sicherheitstechnik besteht sowie acht Vertretern gesellschaftlicher Interessengruppen, wie der Gewerkschaften, des Umwelt- und Naturschutzes und des Verbraucherschutzes.
Im Interview stellt Karberg verschiedene Suggestivfragen. Darunter findet sich folgende Passage:
Karberg: „Die Zusammensetzung der Experten war zuletzt stark umstritten, die Kommission monatelang kaum arbeitsfähig, weil sich die Politik auf bestimmte Experten nicht einigen konnte.“
Vahlenkamp: „Die Bemühung der ZKBS ist es, einen möglichst neutralen, wissenschaftlichen Blick auf die Fakten zu haben. In den Abstimmungsprozess, welche Kolleginnen und Kollegen vom zuständigen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft für ihre dreijährige ehrenamtliche Tätigkeit in der ZKBS nominiert werden, sind weitere Ministerien, etwa das Umwelt-, Forschungs- und Wirtschaftsministerium, involviert. Die gesetzliche Aufgabe der ZKBS ist es, Politik und Verwaltung durch fachliche Stellungnahmen zu beraten. Das politische Drumherum ist nicht Sache der ZKBS. Die Couleur eines Ministeriums ändert sich, die ZKBS hingegen soll wissenschaftlich basiert arbeiten, Politik also beraten, aber kein politischer Akteur sein.“
Karberg: „Aber das ist schwierig, wenn, wie geschehen, für diese Tätigkeiten etwa Personen vorgeschlagen werden, denen die Expertise fehlt oder die als Anti-Gentechnik-Aktivist:innen gelten, etwa der vom grün geführten Bundesumweltministerium protegierte Christoph Then sowie Angelika Hilbeck.“
Vahlenkamp: „Es ist richtig, dass Personalvorschläge in jüngster Vergangenheit in den verschiedenen Ministerien unterschiedlicher Couleur sehr kritisch gesehen wurden. Und weil man sich nicht einigen konnte, wurden über einen langen Zeitraum einige Funktionen nicht besetzt. Das war eine schwierige Situation, denn die Arbeit blieb an den übrigen Sachverständigen hängen, Forschungsprojekte drohten sich zu verzögern.“
Was nicht im Artikel steht: Tatsächlich waren verschiedene Posten bei der ZKBS schon seit vielen Jahren nicht mehr besetzt, insbesondere die Sitze für die VertreterInnen des Umwelt- und Naturschutzes. Schon zwischen 2009 und 2013, in der Periode des 17. Bundestags unter der Regierung Merkel, die damals eine Regierung aus CDU/CSU und FDP führte, wurde Christoph Then das erste Mal als Vertreter der Umwelt und Naturschutzverbände für die ZKBS vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde damals von der FDP abgelehnt, seitdem erneuerte der Deutsche Naturschutzring (DNR) seinen Vorschlag immer wieder ohne Erfolg. Mit gleicher Regelmäßigkeit fand der Vorschlag zwar Zustimmung einiger Ministerien (die keineswegs unter Leitung der Grünen waren), scheiterte aber an anderen Ressorts. Offizielle Gründe für die Ablehnung wurden gegenüber dem Kandidaten nicht genannt. Dieser hatte sich auch nie aktiv um diese ehrenamtliche Position beworben, die mit viel Arbeit verbunden sein kann, ließ sich aber auf Nachfrage vorschlagen. Letztlich wurden die Umweltverbände in ihrem Vorschlagsrecht erheblich behindert, von Problemen bei den Entscheidungsfindungen der ZKBS wurde in diesem Zeitraum allerdings nie berichtet. Tatsächlich war Christoph Then aber in der laufenden Legislaturperiode gar nicht der Kandidat der Umwelt- und Naturschutzverbände. Nach Rücksprache hatte man andere ExpertInnen vorgeschlagen. Weder war die Kandidatur von Then zu diesem Zeitpunkt also von den Grünen protegiert worden, noch kann seine Person zu Zoff in der ZKBS geführt haben.
Bleibt noch das interessante Detail, ob und warum Then die Expertise fehlt oder ob er als Anti-Gentechnik-Aktivist gilt. Und warum er in diesem Zusammenhang und auf diese Weise überhaupt genannt wird. Es entsteht der Eindruck, dass versucht wird, Vahlenkamp eine Aussage unterzuschieben, die er so gar nicht gemacht hat. Letztlich steht in dem Artikel wohl zu lesen, was Herr Karberg über Herrn Then (und Frau Hilbeck) denkt und nicht was in der ZKBS tatsächlich diskutiert und entschieden wurde. Herr Karberg hat das Interview dann dazu genutzt, um seine eigene Meinung drucken zu lassen. Ein von der eigenen Meinung gefärbter Journalismus?
Oder liegt das Problem gar nicht bei Karberg, sondern beim Tagesspiegel selbst? Bisher ist die bekannte Tageszeitung aus Berlin nicht gerade mit kritischen Fragen zur Neuen Gentechnik aufgefallen. Erst vor kurzem hatte der Tagesspiegel dagegen eine weitere fragwürdige Berichterstattung zum Thema publiziert: David Spencer, der unter anderem im Vorstand der Organisation ÖkoProg als Kommunikationsexperte tätig ist, veröffentlichte am 16.9.2023 einen Beitrag mit dem Titel „Neue genomische Verfahren stürzen die Grünen in einen alten Konflikt“. Hier heißt es: „Neue Methoden zur Veränderung des Erbguts spalten die Grünen. Für die Partei ist es schwierig, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und alte politische Überzeugungen zusammenzubringen. Das parteiinterne Grüne Netzwerk Evidenzbasierte Politik versucht zu vermitteln.“
ÖkoProg setzt sich vehement für die Einführung der Neuen Gentechnik in der Landwirtschaft ein. Ähnlich argumentieren bestimmte Akteure im Rahmen des selbst ernannten ‚Grünen Netzwerks Evidenzbasierter Politik‘. Man kann diese wohl kaum als neutrale VermittlerInnen in der internen Diskussion bei den Grünen bezeichnen. David Spencer über dieses Thema berichten zu lassen, ohne seinen Hintergrund zu benennen, ist ebenfalls keine gute journalistische Praxis.
Oder muss man den Rahmen sogar noch weiter spannen: Ist es gar nicht das Problem des Tagesspiegels, sondern der Berichterstattung zu diesem Thema generell? Schließlich finden sich auch in anderen Medien kaum kritische Fragen zu den Risiken der Neuen Gentechnik. Eine Ausnahme war eine Rundfunksendung des SWR 2, an der nicht nur eine Wissenschaftsjournalistin teilnahm, sondern auch der Wissenschaftler Detlef Weigel aus Tübingen und eben jener der fehlenden Expertise bezichtigte „Aktivist“ Christoph Then: Während die Journalistin vor allem versuchte, Then ähnlich zu brandmarken wie Sascha Karberg im Tagesspiegel, entspann sich zwischen Weigel und Then ein kontroverses und interessantes Fachgespräch.
Liegt das Problem darin, dass JournalistInnen mit dem Thema vielleicht fachlich überfordert sind und sich deswegen auf allgemeine Positionen wie einen angeblichen ‚Konsens‘ unter den WissenschaftlerInnen zurückziehen? Das wäre wohl zu viel behauptet. WissenschaftsjournalistInnen zeichnen sich tatsächlich oft durch gute Vorbildung und eingehendes Fachwissen aus.
Was also ist das tatsächliche Problem? Oder anders gefragt: Was könnte aus der Sicht der Öffentlichkeit besser gemacht werden? Medien sehen es schon längst nicht mehr als ihre Aufgabe an, eine möglichst breite Palette unterschiedlicher Perspektiven wiederzugeben. Eher geht es ihnen darum, den Raum der öffentlichen Meinung aktiv zu gestalten und dabei den Kontext und den Inhalt von Informationen zu interpretieren und ggf. zu filtern. Diese Rolle der Medien ist wichtig, weil sie im Chaos der Meinungsvielfalt eine gewisse Orientierung bieten kann.
Schwierig wird es, wenn die Medien dabei selbst zu einem Resonanzkörper von Botschaften werden, deren Grundlagen einer genauen Überprüfung nicht standhalten. Dieses Risiko tritt unter anderem dann auf, wenn finanzstarke Akteure ihre Ressourcen investieren, um bestimmte Sichtweisen durchzusetzen. Bestens bekannt ist das Problem aus den Strategien der Tabak- und Autoindustrie, der Chemie- und Atomwirtschaft. Hier spricht die Industrie keineswegs immer mit eigener Stimme, sondern setzt auf die Orchestrierung von verschiedenen Akteuren, um bestimmte Interessen durchzusetzen.
Typischerweise wird dabei auf ‚die Wissenschaft‘ und deren ExpertInnen zurückgegriffen. Gleichzeitig werden Personen, die sich gleichfalls wissenschaftlich mit diesen Themen befassen, aber zu anderen Ergebnissen als die finanzstarken Akteure kommen, argumentativ an den Rand gedrückt. Obwohl diese Mechanismen einer gelenkten öffentlichen Meinungsbildung gut bekannt sind, heißt das nicht, dass diese nicht auch immer wieder mit Erfolg angewendet würden. Möglicherweise auch beim Thema Neue Gentechnik. Eine Berichterstattung, bei der es tatsächlich um Argumente, deren Stichhaltigkeit und Relevanz geht, findet in den Leitmedien bei diesem Thema jedenfalls kaum statt. Da könnte man also tatsächlich in Zukunft vieles besser machen.