Neue Forschungsergebnisse verstärken Bedenken gegen geplante Deregulierung
9. November 2023 / Überraschende Folgen des Einsatzes der Gen-Schere CRISPR/Cas an Pflanzen sind Gegenstand zweier aktueller wissenschaftlicher Publikationen. Die neuen Erkenntnisse sind auch für die Risikobewertung von Pflanzen aus Neuer Gentechnik (NGT) wichtig und stärken die Bedenken gegen deren von der EU-Kommission geplante Deregulierung.
Nach dem vorliegenden Gesetzesvorschlag der Kommission gäbe es für die meisten Pflanzen aus Neuer Gentechnik (NGT) keine verpflichtende Risikoprüfung mehr. Die neuen Publikationen zeigen jedoch, dass dieser Vorschlag nicht im Einklang mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen steht.
In einer Publikation in Nature Communications wird gezeigt, dass der Einsatz der Gen-Schere CRISPR/Cas bei Pflanzen oft dazu führt, dass Genabschnitte, die aus dem Erbgut herausgeschnitten werden sollen (Deletion), sich in umgedrehter Richtung (Inversion) wieder einfügen. Die WissenschaftlerInnen führen für diesen Typ von genetischen Veränderungen den neuen Begriff ‚Delinvers‘ ein. Sie betonen, dass diese Effekte speziell beim Einsatz der Gen-Schere eine Rolle spielen und fordern genauere Untersuchungen, um diese ungewollten genetischen Veränderungen zu identifizieren. Dass diese Effekte bei manchen NGT-Pflanzen sehr häufig vorkommen, wurde bisher übersehen. Sie werden hier zum ersten Mal beschrieben.
Die Wirkungen von ‚Delinvers‘ können von Fall zu Fall unterschiedlich sein, sie können bspw. dazu führen, dass Genfunktionen von Pflanzen ungewollt verändert werden. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission wären solche Inversionen und Deletionen jedoch ausdrücklich von der Risikoprüfung ausgenommen.
Eine weitere Publikation in Science zeigt, dass die Wirkung von genetischen Veränderungen bei Pflanzen nicht nur von der veränderten Gensequenz selbst abhängt, sondern auch durch Interaktionen mit anderen Genen beeinflusst werden kann. Entsprechende Effekte sind als ‚Epistasis‘ bekannt, man spricht auch von Wechselwirkungen zwischen einem Gen und dessen genetischem Hintergrund. Wie unvorhersehbar die Effekte der Epistasis sein können, wurde jetzt am Beispiel der Fruchtentwicklung von Tomaten gezeigt: Hier führten Veränderungen am selben Genort – je nach Tomatensorte – zu unterschiedlichen Effekten. Hierbei spielen der Ort der genetischen Veränderung, die betroffene Genfunktion und die Art der Genveränderung eine wichtige Rolle. Diese können sich bei NGT-Pflanzen deutlich von denen der konventionellen Zucht unterscheiden.
Im Hinblick auf die Risiken sind diese unbeabsichtigten Wechselwirkungen keineswegs unbedenklich. Sie können beispielsweise die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe von Pflanzen und deren Interaktionen mit der Umwelt beeinflussen. Die EU-Kommission geht aber davon aus, dass man diese unbeabsichtigten Effekte in den meisten Fällen nicht auf Risiken untersuchen müsse. Sie glaubt, dass innerhalb eines virtuellen Genpools alle Gene beliebig und ohne Risiken geändert, übertragen und neu kombiniert werden können und ignoriert dabei die Rolle des genetischen Hintergrunds.
Bereits vor kurzem hatte eine wissenschaftliche Publikation in Frontiers im Detail gezeigt, warum der Ansatz der EU-Kommission nicht ausreichend ist, um Aussagen über die Sicherheit von NGT-Pflanzen zu treffen. Diese Ergebnisse werden nun durch die neuen Publikationen bestätigt.
Nach dem Willen der EU-Kommission sollen rein formale Kriterien eingeführt werden, um zu entscheiden, ob Pflanzen aus Neuer Gentechnik denen aus konventioneller Zucht gleichgestellt werden können. Für diese Pflanzen würde dann keinerlei Risikoprüfung verlangt. Die Kommission schlägt insbesondere vor, dabei nur die Anzahl der genetischen Veränderungen zu berücksichtigen, nicht aber deren biologische Wirkungen und mögliche unbeabsichtigte Folgen. Testbiotech fordert, den Vorschlag der EU-Kommission zurückzuweisen. Auch in Zukunft müssen alle NGT-Pflanzen auf beabsichtigte und unbeabsichtigte genetische Veränderungen und deren Risiken untersucht werden.
Testbiotech warnt vor einer überstürzten Annahme des Vorschlags der EU-Kommission, da im EU-Parlament extrem kurze Fristen für die Beratung des Gesetzesvorschlags gelten. Bevor eine Entscheidung getroffen wird, müssen erst alle relevanten Fakten auf den Tisch kommen und im Detail bewertet werden.
Kontakt:
Christoph Then, info@testbiotech.org, Tel 0151 54638040