München, 23. September 2012. Französische Wissenschaftler berichten über erhebliche gesundheitliche Schäden bei Ratten, die mit gentechnisch verändertem Mais NK603 gefüttert oder geringen Konzentrationen einer Pestizidmischung ausgesetzt waren. Die EU-Kommission hat angekündigt, die Studie aus Frankreich bis Ende des Jahres durch die EU-Lebensmittelbehörde EFSA bewerten zu lassen. Doch schon am 27. September wird in Brüssel über eine weitere Zulassung von gentechnisch verändertem Mais (MIR162) abgestimmt, der in Lebens- und Futtermitteln verwendet werden soll.
Testbiotech ist der Ansicht, dass die neuen Forschungsergebnisse ernst genommen werden müssen und warnt davor, die derzeitige Praxis der Risikobewertung beizubehalten. Vor dem Hintergrund der Diskussion über die aktuelle Studie aus Frankreich werden insbesondere folgende Defizite der EU im Umgang mit den Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen deutlich:
Die EU verlässt sich bei der Risikobewertung auf ein fragwürdiges Verfahren: Die EFSA arbeitet auf Grundlage der sogenannten „vergleichenden Risikobewertung“. Sie geht davon aus, dass die gentechnisch veränderten Pflanzen sicher sind, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. Deswegen verlangt die EFSA keinerlei Fütterungsstudien mit gentechnisch veränderten Pflanzen, wenn die gesundheitlichen Risiken nicht bereits vorher (!) bekannt sind. Wäre die Beweislast umgekehrt, dann müssten die Firmen die Sicherheit ihrer Produkte tatsächlich belegen und es wäre eine wesentlich ausführlichere Risikoprüfung nötig.
Die EU-Regularien verlangen eine Überwachung der gesundheitlichen Auswirkungen von gentechnisch veränderten Pflanzen, die zur Vermarktung zugelassen wurden. Doch weder in der EU noch in den USA werden die Folgen des Verzehrs der Produkte überwacht. Deswegen wissen wir lediglich, dass die Verbraucher beim Verzehr dieser Produkte nicht akut erkranken. Es fehlen jedoch Erkenntnisse über chronische Krankheiten wie Krebs. Dies wird auch durch Stellungnahmen der EU-Kommission bestätigt. Nach einem rechtlichen Gutachten, das Testbiotech in Auftrag gegeben hat, stellt die derzeitige Praxis eine Verletzung bestehender EU-Vorschriften dar. Dasselbe Dossier zeigt auch, dass die Auswirkungen von Spritzmitteln, die beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zum Einsatz kommen, bei deren Risikobewertung miteinfließen müssen. Dies wird von der EFSA bisher ignoriert, sie behauptet, dass die allgemeine Pestizidzulassung ausreichend wäre.
In der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA und nationalen Behörden liegen erhebliche Interessenkonflikte vor. Auch angeblich unabhängigen Experten konnten Eigeninteressen an der Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen oder Verbindungen zur Industrie nachgewiesen werden. Zwar operieren Wissenschaftler niemals völlig im interessenfreien Raum. Aber Experten, die gentechnisch veränderte Pflanzen für unbedenklich erklären und damit gleichzeitig eigene Interessen verfolgen, sind ein großes Problem für die Gesellschaft. Diese kann sich nicht mit ausreichender Sicherheit auf die vorhandene wissenschaftliche Expertise verlassen. Auffällig ist, dass jetzt verschiedene Experten die Versuchsergebnisse der französischen Wissenschaftler anzweifeln, aber nur wenige Wissenschaftler dazu bereit sind, Kritik an unzureichenden Studien der Industrie zu äußern.
Testbiotech fordert, dass die Risikobewertung gentechnisch veränderter Pflanzen in der EU neu organisiert wird. Zudem müssen politische Anstrengungen unternommen werden, um die unabhängige Risikoforschung gezielt zu fördern. Die Risiken der Produkte, die bereits zugelassen sind, müssen nach wesentlich höheren Standards neu bewertet werden. Weitere Neuzulassungen sollten bis auf weiteres nicht erfolgen. Das Regelwerk der EU verlangt, dass das Vorsorgeprinzip zur Anwendung kommt und die Verbraucher durch Vermarktungsverbote geschützt werden, wenn es neue Hinweise auf Risiken von gentechnisch veränderten Pflanzen gibt.