Offener Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung, 10.9.2013
Am 31.8.2013 erschien unter der Überschrift „Schluss mit der Scheindebatte“ ein Artikel von Katrin Blawat im Wissenschaftsteil der Süddeutschen Zeitung. In diesem Artikel wird dargelegt, dass der Begriff „Grüne Gentechnik“ wissenschaftlich nicht ausreichend definiert sei, um als Abgrenzung zu konventionellen Züchtungsverfahren zu dienen. Die Autorin empfiehlt, die jeweiligen Pflanzen unabhängig von der Methode zu beurteilen, mit der sie hergestellt werden. Eine systematische Abgrenzung der Gentechnik von Mutationszüchtung und anderen modernen Züchtungsverfahren sei nicht sinnvoll. Dies hätten die Kritiker der Gentechnik nicht verstanden.
Der Inhalt des Artikels ist aus folgenden Gründen angreifbar:
(1) Die Agrogentechnik (so wie sie bei den Pflanzen angewendet wurde, die heute in der EU zugelassen sind) beruht auf Verfahren der Isolierung und Übertragung von DNA, wobei die DNA aus gleichartigen oder auch artfremden Organismen stammen, aber auch synthetisch hergestellt sein kann. In der Regel wird die DNA vor der Übertragung technisch verändert, man spricht von einem DNA-Konstrukt, das oft aus „Anschaltgenen“, „Stoppsignalen“ und der eigentlichen funktionellen DNA besteht. Die DNA kommt in dieser Form in der Natur nicht vor. Zudem werden auch künstliche DNA-Abschnitte verwendet, für die es in der Natur ebenfalls keine Vorlage gibt. Diese Pflanzen sind wissenschaftlich und rechtlich sehr einfach von der konventionellen Züchtung unterscheidbar. Bei dieser werden grundsätzlich keine isolierten DNA-Abschnitte übertragen.
Die Risikobewertung der gentechnisch veränderten Pflanzen sollte sinnvoller Weise diesen Unterschied zur konventionellen Züchtung als Ausgangspunkt nehmen. Relevante Fragen sind u.a., welche Wechselwirkungen zwischen der zusätzlichen DNA und dem Erbgut der Pflanzen unter wechselhaften Umweltbedingungen zu beobachten sind.
Dagegen werden in der konventionellen Züchtung (auch der Mutationszüchtung) die normalen Mechanismen der Genregulation und Vererbung genutzt. Auch hier kann es Risiken geben. Allerdings sind diese nicht durch die Methode verursacht. Hier empfiehlt sich – falls nötig – eine Prüfung der einzelner Pflanzen.
Den grundlegenden Unterschied zwischen Gentechnik und konventioneller Züchtung sollte man nicht wegreden. Anders als in den USA beruht auf diesem Unterschied in der EU sowohl die Risikoprüfung als auch die Kennzeichnung. Die Industrie versucht diesen Unterschied dagegen aus einfachen Gründen zu verwischen: Gäbe es keinen Unterschied, könnten ihre Gentechnik-Produkte ohne Zulassung und ohne Kennzeichnung auf den Markt kommen.
(2) Die neueren Methoden, die im Artikel erwähnt werden, sind bezüglich ihrer Risiken bisher nicht endgültig bewertet. Aber auch hier handelt es sich im Wesentlichen um Verfahren, bei denen mit technischen Mitteln in die Zelle eingegriffen wird, um die DNA zu verändern oder um die Aktivität natürlicher Gene zu verändern. Dafür wurden in den letzten Jahren verschiedene „DNA-Scheren“ (Nucleasen) entwickelt, die die DNA an einer bestimmten Stelle aufschneiden und auch zur gezielten Insertion von zusätzlicher DNA verwendet werden können (Zinkfingernucleasen, Meganucleasen, TALEN, CRISPR). Zudem kann man durch die Einbringung von kurzen DNA–Abschnitten (Oligonucleotide) in die Zelle erreichen, dass diese von der Zelle als Vorlage zum Umbau der eigenen DNA verwendet wird. Geschieht dies parallel an mehreren Stellen des Erbgutes, kann man auch große Abschnitte des Erbgutes verändern (Multiplex Automatic Genome Engineering, MAGE).
Zudem kann man mit verschiedenen Verfahren auf der Ebene der „Epigenetik“ die Aktivität der pflanzeneigenen Gene künstlich verändern. Welche Nebenwirkungen diese neueren Verfahren jeweils haben, ist bisher kaum untersucht. Manche dieser Technologien könnten tatsächlich risikoärmer als die bisherigen Methoden sein. Es ist aber noch zu früh, um darüber zu entscheiden.
Verfahren, bei denen mit invasiven Methoden in das Genom eingegriffen wird, sollten deswegen grundsätzlich der Gentechnikregulierung unterliegen und nicht als konventionelle Züchtung eingestuft werden. Werden diese neuen Methoden von der Regulierung ausgenommen, gibt es keine Risikoprüfung, keine Offenlegung von Daten über die erwünschten und unerwünschten Eigenschaften der Pflanzen und keinerlei Transparenz für Landwirte, Züchter und Verbraucher. Da immer neue technische Verfahren entwickelt werden, werden Transparenz und Risikobewertung eher wichtiger. Man tut also gut daran, auch diese Verfahren grundsätzlich nicht als „konventionell“ einzuordnen.
Das gilt auch für den erwähnten Clearfield-Raps von BASF, der ohne EU-Zulassungsprüfung auf den Markt gekommen ist. Dass dieser Raps über das Herstellungsverfahren hinaus ein äußerst problematisches Produkt ist, das zu erheblichen Problemen in der Landwirtschaft führen kann, hat die Autorin richtig herausgestellt. Das ändert aber nichts daran, dass sich das Herstellungsverfahren auch hier sehr klar von bisherigen Verfahren zur Mutationszüchtung unterscheidet: Man führt sogenannte Oligonucleotide – kurze DNA- oder RNA-Sequenzen - in die Pflanzenzelle ein, was die Pflanze dazu bringen soll, die Struktur ihrer eigenen DNA zu verändern. Die genauen Mechanismen dieser DNA-Veränderung sind nicht bekannt.
(3) Der Artikel trennt Information zu wenig von Meinung. Dadurch kommt es zu Unklarheiten und Vermischung von verschiedenen Ebenen. Eine klare Unterscheidung zwischen Gentechnik und konventioneller Züchtung hat nichts mit Technikfeindlichkeit zu tun, sondern mit Transparenz und Vorsorge, mit Aufklärung statt mit Beschwichtigung und eben auch mit der Wahlmöglichkeit für Verbraucher.
Ein Fazit: Die Möglichkeiten zu Eingriffen in das Genom sind in den letzten Jahren deutlich angewachsen. Dass man angesichts dieser Entwicklung fordert, die bisherige Kennzeichnung und Risikoprüfung der EU ganz oder teilweise aufzugeben, erscheint widersprüchlich und ist sachlich nicht nachvollziehbar. Es gibt verschiedene Protagonisten, die aber genau dies fordern. Derartige Diskussionen sollte man vor dem Hintergrund des geplanten Freihandelsabkommen mit den USA sehen. Ohne Kennzeichnung und Zulassungsverfahren wäre aus Sicht der Wirtschaft ein wichtiges Handelshemmnis beseitigt. Für Landwirte und Verbraucher in der EU würde dies aber nicht nur höhere Risiken, sondern auch eine erhebliche Einschränkung ihrer Wahlfreiheit bedeuten. Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel von geklonten Nutztieren: Bisher unterliegen weder die Tiere noch ihre Nachkommen noch die von ihnen gewonnenen Nahrungsmittel in der EU einer Kennzeichnungspflicht. Es ist aber davon auszugehen, dass entsprechende Produkte auch in der EU bereits auf dem Markt sind.
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